Was bringt mein Ökostromtarif für die Energiewende?

  • Simon Schmitz
  • market, customers, green power

Jetzt, da das Jahr 2015 endgültig angefangen hat, muss jeder Stromversorger in Österreich allen seinen Kunden die Herkunft aller gelieferten Kilowattstunden (kWh) ausweisen. Anlass genug, um sich mit den Hintergründen etwas genauer zu beschäftigen, und vor allem mit der Frage, ob ein Ökostromtarif (oder Grünstromtarif, (1)) die Energiewende weiterbringt oder nicht.

Folgendes Video liefert die Kurzfassung, die ausführliche Analyse ist weiter unten nachzulesen! Video

Was genau steckt hinter einem „Ökostromlabel“?

Viele umweltbewusste Kunden haben einen Ökostromtarif (1), bei dem der Anbieter garantiert, dass der gelieferte Strom aus 100% erneuerbaren Quellen kommt, oft sogar aus bestimmten Kraftwerken. Strom kommt bekanntlich aus dem Stromnetz, und da wird Strom aus allen Quellen, die gerade produzieren, quasi vermischt. Physische Verpackung oder Etikettierung gehen da gleich null. Warum ist das so? Weil Strom sich nur sehr schwer speichern lässt. Er muss zum Großteil sofort zum Verbraucher transportiert und verbraucht werden. Wenn aber der gesamte Strom, der in einer Sekunde in einem Netz produziert wird, vermischt wird, und oft noch konventionelle Kraftwerke laufen (was ohne Zweifel der Fall ist), wie kann dann mein Strom aus dem Netz zu jeder Zeit aus 100% erneuerbaren Quellen kommen? Rein physikalisch gesehen wird die Antwort darauf noch sehr lange „gar nicht“ bleiben. Aber jetzt sofort zu schlussfolgern, dass Ökostrom sinnlos ist, wäre wohl etwas zu einfach.

Die meisten Ökostromtarife verwenden ein System, das auf sogenannten Herkunftsnachweisen (HKN) basiert. Diese Zertifikate werden vom dazugehörigen Strom getrennt sobald dieser produziert wird und in einem virtuellen Pool (also einem Verrechnungskonto wie auf einer Bank) gesammelt und gegebenenfalls zum Handel freigegeben. Stromanbieter in ganz Europa können dann diese Zertifikate kaufen und ihren Kunden anbieten, natürlich wieder in Verbindung mit einer kWh Strom.

So weit, so gut.

Was leistet das Buchhaltungssystem der „Herkunftsnachweise“?

Dieses komplizierte Buchhaltungssystem, das in einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2009 (2009/28/EG) definiert wurde, stellt immerhin sicher, dass eine kWh, die von einem bestimmten Kraftwerk produziert wurde, nur einmal an einen Endkunden verkauft werden kann. Stromanbieter müssen nämlich bei Verkauf von ausgewiesenem Ökostrom eine entsprechende Menge an Zertifikaten in einer national kontrollierten Datenbank (dem bereits erwähnten Verrechnungskonto) entwerten. Diese Datenbanken sind sogar europaweit koordiniert, was auch erklärt, warum auf den Rechnungen mancher Endkunden in Österreich Wasserkraft aus Norwegen auftaucht.

Die extreme räumliche Trennung macht zwar in den Augen vieler Verbraucher wenig Sinn, ist aber theoretisch zulässig, weil sie nichts daran ändert, dass das System vor Doppelzählung schützt: es ist tatsächlich so, dass man als Kunde sich seinen ganz eigenen Ökostrom dadurch buchstäblich absichert: nach dem Motto „das ist jetzt mein Strom, der ist nur grün, und den kriegt sonst keiner!“ Das mag für die meisten eine gewisse Beruhigung bedeuten, eine Beruhigung des grünen Gewissens, an dem gerade der unweigerlich noch übriggebliebene Stromverbrauch nagt, auch nach der entschlossenen Jagd auf alle Stromfresser im Haushalt. Das Gewissen wird nur kurz stutzig: hmm, und was bringt das dann für die Energiewende, z.B. für neue Solar- und Windkraftwerke? Die positive Antwort folgt sofort: ja, durch mein Umschwenken steigt ja die Nachfrage nach diesem Strom oder zumindest nach den Herkunftsnachweisen, und das kommt den Betreibern doch sicher zugute! Und dann kommt genau der Punkt, an dem die meisten aufhören, sich mit dieser komplizierten Debatte zu beschäftigen. Leider kommt erst nach weiterem Nachdenken der Punkt, an dem das Ökostrom-Gedankengebäude wie ein Kartenhaus zusammenfällt.

Warum steigert Ökostrom nicht die Nachfrage nach erneuerbarer Energie?

Hier hilft uns ein etwas ungewöhnlicher Vergleich mit Fairtrade Produkten. Sozial bewusste Menschen sagen sich „Mein Kaffee oder Tee wird von Menschen produziert, die ausgebeutet werden, das will ich nicht mehr, ich tue etwas dagegen beim Einkauf: ich steige um auf Fairtrade Kaffee und trinke dann nur noch den.“ Und dann ist hier wirklich jeder Schluck aus Quellen „ohne Ausbeutung“. Wir nehmen mal an, dass das auch der Wahrheit entspricht, obwohl die Zertifizierung dieser Aussage vielleicht sogar schwieriger ist als bei Ökostrom (mehr Infos dazu hier). Es gibt natürlich auch Konsumenten, denen die Produktion egal ist, und die einfach im Supermarkt weiter ihren normalen Kaffee kaufen. Das Gute bei Fairtrade ist, dass das Kaufverhalten dieser Menschen zumindest nicht durch das Verhalten der sozial verantwortlichen negativ beeinflusst wird. Wäre ja auch sehr merkwürdig, wenn durch meinen Kauf einer Packung Fairtrade Tee die restlichen „normalen“ Packungen im Regal des Supermarkts etwas weniger „fair“ würden! Die Produzenten des fairen Kaffees dürfen sich in jedem Fall freuen, denn sie haben jetzt durch mich mehr Nachfrage als ohne meine Entscheidung umzusteigen. Soweit wunderbar. Jetzt spielen wir das Ganze mal mit Ökostrom durch. Umweltbewusste Menschen sagen sich: „ich will was für die Energiewende tun! Der Energiemix aus dem Stromnetz ist mir nicht grün genug, ich nehm mir jetzt einen schönen Grünstromtarif, so, und jetzt ist mein Strom 100% erneuerbar.“ Natürlich gibt es auch hier die Desinteressierten, die brauchen einfach Strom und fertig, egal wie grün. Was aber passiert jetzt genau mit dem Ökostrom?

Bei Fairtrade Kaffee bleibt die Eigenschaft „ohne Ausbeutung“ gewissermaßen an der Kaffeepackung kleben, aber der Herkunftsnachweis für erneuerbare Energie landet ja erst mal in der Datenbank, während der Strom sofort seinen Weg in irgendeine Steckdose findet. Physisch gesehen bekommen also alle Kunden immer Strom aus einem Mix an Quellen geliefert (so als ob aller Kaffee der Welt auf einem einzigen riesigen Schiff vermischt würde). Der Strom des “grünen” Kunden ist aber zu 100% mit Ökostromzertifikaten abgedeckt. Und jetzt kommt der Knackpunkt: damit das System wirklich vor Doppelzählung schützt, müssen diese Zertifikate aus dem Strommix aller anderen Kunden herausgerechnet werden. D.h. die bekommen dann rechnerisch eben etwas weniger grünen Strom! Das ist jetzt wirklich so, als ob der „normale“ Kaffee in den Regalen weniger fair würde! Der „normale Strom“ für alle Kunden ohne Ökostromtarif wird also ein ganz klein wenig weniger grün. Und die allermeisten merken das nicht einmal. Immerhin, in Österreich wird das ab 1.1.2015 auf allen Stromrechnungen für Endkunden sichtbar, weil kein Strom „unbekannter Herkunft“ mehr ausgewiesen werden darf. Aber wird das die Ökomuffel, darunter auch Gewerbe- und Industriekunden, wirklich umstimmen? Und außerdem gibt es diese Transparenz längst nicht in allen teilnehmenden Ländern. Norwegische Verbraucher sind sich z.B. nicht dessen bewusst, dass die „grüne Eigenschaft“ ihrer Wasserkraft bereits an Kunden in Österreich verkauft wurde. Und wenn, würden sie verstehen, was das heißt? Und wenn sie es verstehen würden, würde es sie stören?

Wohl nicht. Und das heißt also, dass die Nachfrage nach erneuerbarem Strom (oder Herkunftsnachweisen) durch den Wechsel auf einen Ökostromtarif nicht steigt. Es gibt natürlich noch den „moralischen“ Einwand: „Aber wenn sich genug Verbraucher für 100% Ökostrom entscheiden würden, dann würde es einen Unterschied machen! Also hat meine Entscheidung doch einen Sinn!“ Ja, da ist was Wahres dran. Dann muss es also heißen: die Nachfrage nach erneuerbarem Strom bleibt durch den Wechsel auf einen Ökostromtarif nur dann gleich, wenn es genug andere Verbraucher gibt, die meine erhöhte Nachfrage durch eine explizite oder implizite „Abgabe“ von erneuerbaren Zertifikaten auf ihrer Stromrechnung kompensieren. Denen es egal ist, wie viele Ökostromzertifikate zusammen mit ihrem Stromverbrauch in irgendeiner Datenbank entwertet werden. Und das sind einige.Die Realität ist, dass das Angebot an Strom aus erneuerbaren Energien europaweit weitaus größer ist als die Nachfrage nach Ökostromtarifen (2). Und solange das so bleibt, verhallt jegliche positive Wirkung buchstäblich in einem Rechenzentrum. Im Gegensatz zur positiven Wirkung von Fairtrade Produkten.

Fazit

Die Kennzeichnung von Strom als „Ökostrom“ mit Hilfe von Herkunftsnachweisen ist und bleibt ein absolutes Nullsummenspiel, bei dem hauptsächlich die Anbieter gewinnen, die ihren Kunden erfolgreich suggerieren, dass sie einen Beitrag zur Energiewende leisten. In Wahrheit bringt das die Energiewende keinen Deut weiter. Wahrscheinlich hält es sie eher noch zurück, weil die Menschen, die wirklich etwas bewegen wollen, vielleicht etwas weniger beim Stromsparen tun, weil sie ja ihren Strom als grün betrachten.

Klarstellung: Stromkennzeichnung und Firmenkennzeichung

All das oben ausgeführte bezieht sich auf Ökostromtarife, die ausschließlich den Strom als solchen mit der Eigenschaft „erneuerbar“ versehen, i.W. auf der Basis von Herkunftsnachweisen. Es gibt aber mittlerweile einige Anbieter, die das oben beschriebene Nullsummenspiel erkannt haben, und sich auf andere Art und Weise Ihren Kunden als treibende Kraft der Energiewende präsentieren möchten. Z.B. solche, die einen Teil ihrer Gewinne im Vertrieb (die ja in hohem Maße von der Kundenzahl abhängig sind) in erneuerbare Neuanlagen investiert. Das ist sicher kein Nullsummenspiel. Sondern eher eine Art Umlagefinanzierung, die auch über den Kauf von Anteilen am Erzeugungsportfolio derselben Firma zu bewerkstelligen wäre. Hierfür muss man als Kunde sicher dem Unternehmen als solches ein Stück weit vertrauen, dass es erstens im Vertrieb wirklich Gewinne macht, die es reinvestieren kann, und zweitens seine Strategie nicht ändert. Oder es schlichtweg für bisherige Leistungen belohnen. Um dabei zu helfen, dieses Vertrauen zu stärken, wurden weitere Ökostromlabels ins Leben gerufen, bei denen die strategische Ausrichtung des Unternehmens, das den Tarif anbietet, eine weitaus größere Rolle spielt. Ein guter Überblick (allerdings mit Fokus auf Deutschland) befindet sich hier.


Fußnoten

(1) Von hier an verwende ich den Begriff „Ökostrom“ als Synonym für beide Begriffe; bitte nicht mit der Firma „Ökostrom AG“ verwechseln

(2) Die geringe Nachfrage nach HKNs schlägt sich übrigens auch in deren Preis nieder. Dieser spiegelt im Wesentlichen nur die Abrechnungs- und Buchungskosten wider und ist derzeit bei etwa 1€ pro MWh, d.h. 0,1ct/kWh, d.h. 0,6% des Strompreises für Haushalte (und noch weniger, wenn man den Grundpreis mit berücksichtigt, der nicht vom Verbrauch abhängt).